Gesehen: Summer of 85 (2020) - Mit Rohmer in den Abgrund
Wie „Trainspotting“, nur mit Liebe und The Cure

François Ozon benutzt hier mit Rohmersche Mitteln das große Besteck, um uns erst zu ver- und dann hineinzuführen in den Abgrund dieser zutiefst verstörenden Geschichte, in der der Protagonist Alexis eigentlich nur eine Nebenrolle spielt. Denn als David in sein Leben tritt, überlagert der sehr schnell einfach alles.
David ist Täter und Opfer zugleich. Er hat den Tod seines Vaters bisher nicht überwunden und verarbeitet, konnte vermutlich offenliegende Konflikte vor dessen Tod nicht mehr lösen. Seine Psyche reagiert darauf mit totaler Abstumpfung. Um sich selbst bzw. überhaupt etwas zu spüren, bleibt David zunehmend nur die Ekstase – auf dem Motorrad, auf der Achterbahn, mit dem Segelboot bei herannahendem Gewitter auf offenem Meer.
Das macht David zu einem regelrechten Drogenjunkie. Und was passiert mit Menschen im Umfeld von Suchtkranken? Sie werden unweigerlich mit in den Abgrund gerissen, weil sie glauben, helfen und das Gegenüber noch aus dem Abgrund ziehen zu können.
David saugt Alexis emotional aus, bis fast nur noch eine leere Hülle übrig ist. Er lovebombt ihn, überwältigt ihn vorsätzlich, um ihn dann auf der Suche nach dem nächsten ekstatischen Hit eiskalt unter sich zu begraben.
Faszinierend war für mich, wie Alexis seinen Namen benutzt, um mit allem umzugehen. Je nach Situation und Gegenüber ist er mal Alexis, mal Alex – als ob er so zwei voneinander getrennte Persönlichkeiten schafft und/oder dissoziiert.
Gerne hätte ich noch mehr über Alexis erfahren. Bestimmte Aspekte in der Beziehung zu seinen Eltern und deren Weltbild werden immer wieder angedeutet und lassen eine vielschichtige Gemengelage hinsichtlich Moral, Toleranz und Akzeptanz vermuten. Aber es bleibt eben nur bei Andeutungen, alles wabert nur vage im Hintergrund herum und drängt nie wirklich hinein in diese Welt.
★★★½☆

