Gesehen: Tatami (2023)
Es mag naheliegen, dass das Politische auch im internationalen Hochleistungssport eine Rolle spielt. Das schmälert jedoch nicht, was TATAMI damit leistet, diesen Konflikt auf die Judomatte zu begrenzen und zu verengen. Die Tatami wird damit zu einem Kessel, der unter immer höherem Druck steht.
Jeder auf die Matte knallende Judowurf könnte das Gefäß endgültig zur Explosion bringen. Wie hier die Kamera regelmäßig mit den Sportlerinnen rollt und auf dem Boden aufschlägt, ist kein neuer Kniff. Beim Blick in den Mainstream waren es Regisseure wie Matthew Vaughn, der im ersten KINGSMAN diesen inszenatorischen Kniff erst elegant einsetzte und in den beiden Nachfolgern dann bis zum Erbrechen überreizte. Hier jedoch haben diese Kamerabewegungen Gewicht. Sie kommen mit Bedacht zum Einsatz und werden mithilfe des brillanten Sounddesigns mit einer brachialen Wucht ausgestattet.
Diese rohe Kraft ist zugleich das, was diese Frauen ausmacht – im sportlichen Sinne, aber noch viel mehr in ihrer eigenen Entschlossenheit und ihrem Mut, Entscheidungen für ihre und die Zukunft ihrer Familien zu treffen, die im Zweifelsfall andere das Leben kosten können.
Die Tatami wird nicht nur zum Ort sportlicher Höchstleistungen, er wird zum Ort der Selbstermächtigung. Hier erkennen und legen die beiden Frauen ultimativ ihre Rollen als austauschbare Figuren auf einem Schachbrett ab. Hier widersetzen sie sich dem Leben, das das iranische Regime für sie vorgesehen hat.
Von Kind auf sein ganzes Leben auf sportliche Exzellenz auszurichten, nur um in den Augen der mächtigen Unterdrücker letztlich nie mehr als ein Propagandawerkzeug zur eigenen Reinwaschung auf dem Parkett des internationalen Spitzensports zu sein... Daran nicht zu zerbrechen, das erfordert Kraft und Stärke, die die radikalen Islamisten in Iran niemals haben werden.
★★★★☆