Gesehen: The Exorcist (1973)
Was mich sehr begeistert hat, sind die zeitlosen, die Implikationen des historischen Kontextes transzendierenden Qualitäten des Films, durch die sich auch Bezüge zu unserer Zeit eröffnen. Denn was jede Faser des Werks durchdringt, ist eine Betrachtung des gesellschaftlichen Umgangs mit psychischen Erkrankungen. Depressionen werden aufs Übelste stigmatisiert, Mediziner sind im übertragenden Sinne kurz davon, einer Jugendlichen das Hirn zu entfernen, bevor sie einmal ernsthaft zuhören und sich wirklich mit ihr auseinandersetzen. Selbst ein Exorzismus wird in den Raum gestellt – nur um sich nicht wirklich auf die junge Frau in einer offensichtlichen psychischen Krise einlassen zu müssen. Gesprochen wird über sie, aber nicht mit ihr.
Auch das Thema neokolonialer Schuld bietet sich meiner Meinung nach als Lesart an. Denn der Film öffnet mit einer Szene im Irak, wo unter Anleitung von US-Amerikanern Ausgrabungen stattfinden und der böse Geist freigesetzt wird. Es ist, als ob die Amerikaner nun dafür bestraft werden, dass sie die kulturellen Schätze anderer Völker plündern. Dass die ersten gesprochenen Worte „Allahu akbar“ sind, wirkt zunächst irritierend und mitunter etwas islamophob. Wahrscheinlich ist das dem mangelnden Feingefühl in dieser Zeit zuzusprechen. Denn ich habe nicht den Eindruck, dass der Film wirklich ein Bild vom bösen Islam zeichnen will. Ganz im Gegenteil, er legt den Finger doch schon sehr deutlich in die Wunden des christlich geprägten Westens.
Rein formal betrachtet ist es außerdem richtig stark, wie dynamisch und zielsicher hier inszeniert wird. Die Form folgt einer glasklaren Vision, Kamera, Ausstattung, Schauspiel und Score greifen meisterhaft ineinander und sind auf ein konkretes Ziel ausgerichtet. Friedkin geht selbstbewusst, furchtlos und kompromisslos an den Stoff heran und das reißt einfach mit.
★★★★☆