Gesehen: A Woman Under the Influence (1974)

Wow, der Film hat mich wirklich von der ersten bis zur letzten Sekunden unter Strom gehalten und die Sichtung zu einer wirklich körperlichen Erfahrung gemacht. Das gelingt durch den Balanceakt zwischen radikaler Überzeichnung auf der einen und Verankerung in einer nur zu gut bekannten Realität auf der anderen Seite. Was das bei mir ausgelöst hat, möchte ich fast als kognitive Dissonanz bezeichnen.
Cassavetes dekonstruiert oder vielleicht eher entromantisiert die idyllische Vorstellung vom Vorortleben der Blue-Collar-Arbeiter*innenklasse und zeichnet dieses americanaeske Gesellschaftsgefüge als eines, das im Grunde genommen nicht wirklich an Menschen, sondern nur an Ästhetik interessiert ist. Ein Problem sieht nicht gut aus, also muss es aus der Sichtlinie genommen oder mindestens zurechtgestutzt werden. Wem es schlecht geht, für den ist kein Platz im Vorstadtparadies.
Das trifft hier natürlich besonders als „hysterisch“ abgestempelte Frauen, die zwar keiner Erwerbsarbeit nachgehen, aber letztlich dafür verantwortlich sind, den ganzen Laden jeden Tag aufs Neue vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Haushalt, Erziehung der Kinder, sich einmischende Schwiegereltern und ein Ehemann, der sein ganzes Leben an der Arbeit verbringt und seiner Frau zum Dank spontan und unangekündigt die komplette Belegschaft zum Essen mit ins Haus schleppt – all diese Rollen, diese Erwartungen und Aufgaben wollen erfüllt werden.
Das ist keine Last, die ein Mensch alleine tragen sollte – und mitunter auch kann. Wo bleiben da Zeit und Raum dafür, sich seiner selbst zu vergewissern? All das kulminiert für mich als Peter Falks Nick Gena Rowlands sichtlich mit allem hadernde Mabel anbrüllt: „JUST BE YOURSELF!“ Worauf er jedoch abzielt, ist seine Vorstellung davon, wie sie zu sein hat. Und sie hat schon längst vergessen, wer sie eigentlich ist, wird immer verzweifelter – bis er ihr nicht sagen kann, dass er sie liebt. Dann ist sie plötzlich total gelöst, frei von allen Zwängen, Ängsten und Erwartungen.
★★★★½
