Gesehen: Scarlet (2022) - Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
FilmkritikEs wäre ein Leichtes gewesen, im Trauma zu waten. Aber auf diesen Zynismus lässt sich Pietro Marcello erst gar nicht ein.
Ein bemerkenswert schöner, ruhiger, sinnlicher und damit auch irgendwie unerwarteter Film, der einen tiefen Glauben an die Kraft des Menschen hat, das Schlechte in der Welt überwinden zu können.
Es wäre ein Leichtes gewesen, diesen physisch und psychisch vom Krieg gezeichneten Mann als ein absolutes Wrack zu zeichnen, der in einer Suppe aus realer PTBS und Selbstmitleid schmorend auch das Leben seiner Tochter vor die Wand fahren lässt.
Aber davon lässt sich Peitro Marcello erst gar nicht „verführen". Stattdessen sind seine Protagonist*innen zu jeder Zeit mehr als nur ihr Trauma, ihr entbehrungsreiches Leben, ihr Unglück und ihr Verlust. Aber er vergisst genau diese Facetten auch nie.
Er lässt alles mit in seine komplexe Figurenzeichnung einfließen, mit der er auch klischierte Darstellungen und Stereotype unterläuft. Denn seine Figuren sind Ausdruck dessen, dass man sich immer dazu entscheiden kann, seiner Tochter ein guter Vater zu sein, unschuldige Menschen nicht für die eigene Lebenssituation verantwortlich zu machen und für sich als Mensch einzustehen – auch, um selbst heilen zu können.
Für sich selbst einzustehen, seine Werte weiterzugeben, mindert die Chancen für nachkommende Generationen, von gleichen oder gar selben Strudeln erfasst und ebenfalls in den Abgrund gerissen zu werden.
In diesem Film steckt unendlich viel Hoffnung und gleichzeitig auch eine so bittersüße Traurigkeit, denn wir wissen, dass die Grauen des Zweiten Weltkrieges schon knapp hinter dem Horizont liegen.
★★★★☆
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