Gesehen: Kramer vs. Kramer (1979) - Damals so wahr wie heute

Hat mich total gepackt, wie hier übergeordnet verhandelt wird, ob und wie ein Mensch Eigentum eines anderen Menschen sein kann, darf und sollte. Natürlich scheint das vordergründig beim Sorgerechtsstreit um den Sohn durch. Aber letztlich geht es doch viel mehr um die endlos vielen Feinheiten im menschlichen und damit gewissermaßen auch patriarchalen Miteinander, die der Film in noch viel mehr Ausprägungen als „nur" dem Streit um den Sohn zeigt.
Die Zersetzung dieser Familien beginnt schon lange vor dem finalen „Streit". Sie beginnt bereits bei einer Entscheidung des Mannes, von der wir erst im letzten Akt des Films erfahren. Denn mit Hochzeit, Schwangerschaft und schließlich dem Sohn hat Frau ihren Beruf aufgegeben, sich ins sogenannte Hausfrauendasein zurückgezogen. Dass das zu einem Gefängnis wurde, liegt daran, dass ihr Mann jede Diskussion über ihre Rückkehr in die Welt abgeblockt hat. Du willst wieder arbeiten? Nope, nicht mal dann könnten wir uns Tagesbetreuung für unseren Sohn leisten, bleib du mal schön zu Hause.
Als sei es eine Art Naturgesetz, dass er wie selbstverständlich das alleinige Einkommen der Familie generiert. Doch damit macht er seine Frau natürlich ökonomisch zu 100 Prozent von sich abhängig und ein unter diesen Voraussetzungen unausgleichbares Machtgefälle auf. Das verunmöglicht in jeglichem Sinne Augenhöhe.
Im Sorgerechtsstreit vor Gericht wird dann verhandelt, ob die ganze Nummer nicht vielleicht irreparable „Schäden" beim Sohn anrichtet – als ob sie sich nicht im Klaren darüber sind, dass diese Schäden schon längst da sind und bereits viel früher angerichtet wurden.
Der Film ist auch wirklich gut darin, die strukturellen Problematiken durchscheinen zu lassen. So wie der Mann zunächst glaubte, wegen seines Einkommens Anspruch auf seine Frau und eine Beziehung mit ihr zu haben, glaubt er nun, Anspruch auf seinen Sohn zu haben. Er habe sich das ja hart erarbeitet und damit verdient – also ob Menschen eine Belohnung sein könnten. Er wiederholt mit seinem Sohn die gleichen Fehler wie mit seiner Frau.
Und auch seine Frau hat ein misogynes Rollenbild verinnerlicht. Sie ist die Mutter, die sich für ihren Sohn aufgeopfert hat, die nur für ihn gelebt und deshalb Anspruch auf ihn hat.
Beide sind zunächst bereit, ihren Sohn zu (re)traumatisieren, um sich selbst besser zu fühlen. Dabei sehen sie lange nicht, dass sie es ja mit einem vollwertigen Menschen und keinem Haustier oder Gegenstand zu tun haben.
Es gibt jedoch einen Ausweg aus dieser Situation, aus diesem (Macht-)Gefüge. Doch das kostet extrem viel Anstrengung, denn es ist nicht nur mit der Reflexion seiner selbst, sondern auch der Umstände des Systems, in dem man lebt, verbunden. Das war 1979 wahr und das ist auch heute wahr.
★★★★☆


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