Gesehen: No Other Land (2024) – Sender ohne Empfänger
Entpuppt sich überraschend als Medien- und Technologiekritik

Für Menschen, die sich ab und an mal mit der Welt auseinandersetzen, in der sie leben, ist nichts von dem, was hier zu sehen ist, etwas Neues – auch nicht unbedingt die Drastik mancher Szenen, wenngleich sie natürlich trotzdem extrem nahegehen.
Ein palästinensischer Mann wird niedergeschossen und ist danach querschnittsgelähmt, weil er verhindern wollte, dass israelische Soldaten seinen Generator zerstören. Ein israelischer Siedler schießt im Streit mit seinem Maschinengewehr einem anderen Palästinenser in den Bauch und verletzt ihn dabei tödlich – vor den Augen untätig dabeistehender israelischer Soldaten.
Unter Anerkennung zweier maßgeblicher Umstände – des Selbstverteidigungsrechts Israels und der völkerrechtswidrigen Besatzung des Westjordanlandes durch Israel – muss man gedanklich trotzdem keine großen Verrenkungen machen, um zu erkennen, welches Unrecht hier der palästinensischen Zivilbevölkerung widerfährt.
Was hier dokumentiert wird, ist viel mehr als „nur" der seit Jahrzehnten vorherrschende Alltag im Nahostkonflikt. Vielmehr werden implizit das Versagen der internationalen Gemeinschaft und die falschen Versprechen der großen Technologiekonzerne sichtbar. Über und aus palästinensischen Gebieten wird so viel gefilmt, gepostet, gestreamt, geschrieben, getwittert, gebloggt wie noch nie zuvor. Aber es juckt einfach nicht, die Bilder rauschen so schnell an uns vorbei, wie sie ins Netz gelangt sind – oder sie erreichen uns erst gar nicht, weil sie nicht durch die Mauern des algorithmischen Gefängnisses dringen können. Hinter denen ist irgendwie jede:r ein bisschen gefangen, der:die nicht chronisch online ist und sich deshalb durch Kenntnis der Mechanismen ihrer Wirkung entziehen kann.
„Jede:r kann Sender:in werden!", war und ist eines der zentralen Versprechen des modernen Internets. Das Kleingedruckte: „Das heißt aber noch lange nicht, dass jede:r die gleiche Plattform bekommt oder überhaupt empfangen werden will."
Damit wird NO OTHER LAND zu einem überraschend großen Teil zu einer Medien- und Technologiekritik. Jüngst habe ich erst bei meinen Gedanken zu DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS die Kolleg:innen von 404 Media zitiert und auch hier passt es fast wie Faust aufs Auge: „You can't post your way out of fascism."

