Die Saat des heiligen Feigenbaums (2024) - Make fascists afraid again!
Auch Mohammad Rasoulof weiß: „You can't post your way out of fascism."

Zu Beginn hatte ich schon meine Probleme damit, dieser Inszenierung zu glauben. Denn es erschien mir alles andere als nachvollziehbar, dass diese Frau und ihre beiden Töchter so unwissend, so blind und fast schon naiv durch Teheran laufen – besonders, weil der Mann selbst Teil von Irans Regimeapparat ist. Vielleicht ist aber auch umso blinder, je näher man dran am Zentrum dieses unterdrückerischen Systems ist.
Aber letztlich muss man sich doch schon sehr anstrengen, um vom Unrecht, von all den brutalen Verbrechen nichts zu sehen. Da gibt es vielleicht auch eine Parallele zur deutschen Geschichte: Es gibt keine Möglichkeit, dass es niemand gewusst hat. Wer das behauptet, hat entweder bewusst weggeschaut oder sieht in den Verbrechen des Regimes kein Problem.
Bei Rasoulofs Auseinandersetzung mit Zeug:innenschaft spielen auch digitale Räume immer wieder eine Rolle. Regelmäßig sehen die Figuren der Töchter Videos und Fotos von der eskalierenden Staatsgewalt auf Instagram, bei denen es sich offenbar um real existierendes Material handelt, das Rasoulof dann auch immer wieder ins Vollbild zieht.
Rasoulof durchdringt die enorme Bedeutung der (digitalen) Vernetzung für ein politisches Momentum, das sich aus der Mechanik ergibt, wie Inhalte auf Social Media Aufmerksamkeit erzeugen und Verbreitung erlangen. Aber er weiß eben auch: „You can't post your way out of fascism", um mal die Kolleg:innen von 404 Media zu zitieren. Denn wenn sich die digitale Empörung nicht in tatsächliches Handeln übersetzen lässt, bleiben am Ende nur ein paar Likes übrig, weil eine Gesellschaft mit Chance auf Freiheit bereits gestorben ist.
Wie dieses Handeln aussehen kann, exerziert Rasoulof am Beispiel dieser zerklüfteten Familie durch. Sein Blick ist klar auf Iran gerichtet, aber der hier abgebildete Mechanismus ist durchaus universellerer Natur und scheint auch bei uns im sogenannten Westen leider ein Muskel zu sein, der einfach nicht mehr ausreichend trainiert wird und deshalb verkümmert ist: „Make fascists afraid again." Faschist:innen müssen wieder Angst haben, ihren Menschenhass öffentlich und überhaupt zu verbreiten. Sie müssen gesellschaftlich geächtet und ausgegrenzt werden. Sie müssen wieder wie der Mann in Rasoulofs Film mit bebender Stimme und Panik in den Augen „ICH HABE KEINE ANGST VOR NIEMANDEM!" brüllen, während ihre Macht in Trümmer gelegt wird.
★★★★☆

