Gesehen: Girl Gang (2022) - Gefangen in leeren Hüllen

Die Eltern können froh sein, dass das zuständige Jugendamt diesen Film offenbar nicht zu Gesicht bekommen hat.

Gesehen: Girl Gang (2022) - Gefangen in leeren Hüllen
Foto: Rise and Shine Cinema

Es ist nicht sonderlich überraschend, was Susanne Regina Meures' Dokumentarfilm hier zutage fördert. Aber aufgrund der Nähe zu diesen Menschen ist er dadurch trotzdem nicht weniger faszinierend. Meures gelingt es einzufangen, wie sich der algorithmisch gesteuerte Mahlstrom auswächst und das Leben einer ganzen Familie pulverisiert, wie öffentlich sichtbare Metriken und Zahlen auf den Bankkonten Menschen zunächst aushöhlen, um sich dann selbst in der leeren Hülle wie Parasiten einzunisten.

Diese Parasiten können dann praktisch ungehindert ihre Wirt:innen aushungern, da die Eltern der hier begleiteten Influencerin ganz offenkundig keine Ahnung dieser digitalen Welt haben. Sie sind fast noch schutzloser als ihre Tochter den toxischen Mechaniken von Instagram und Co. ausgeliefert. Sie begreifen nicht, in welche Welt sie ihre Tochter drängen.

Diskutabel ist, ob das Unwissen oder selbstgewählte Ignoranz ist. Denn die Eltern reflektieren sehr wohl, zu welchem Preis die Bekanntheit ihrer Tochter kommt, meinen aber wortwörtlich, dass das ja ein fairer Deal wäre, wenn man im Gegenzug etwa praktisch keine echten Freund:innen hat.

Ziemlich klar scheint jedoch, was für eine abartige Machtdynamik hier diese Familienbande durchdringt. Denn einerseits würden sie die Eltern ihren Lebensstandard ohne die Reichweite ihrer Tochter niemals leisten können. Sie sind von ihrem Erfolg direkt abhängig. Andererseits kann ihre viel zu junge Tochter nur durch die Unterstützung der Eltern ihre Karriere als Influencerin vorantreiben. Doch wo an dieser Stelle das Maß liegt, entscheiden die Eltern, die ihre Tochter ständig vor sich her treiben, sie einzig und allein für number go up eiskalt ausbeuten und das sogar unverfroren vor laufender Kamera aussprechen.

Der Vater spricht davon, er lebe den Traum seiner Tochter. Die Mutter findet, sie sei manchmal im Traum ihrer Tochter gefangen. Was die Tochter jedoch wirklich vom Leben erwartet, weiß niemand – sie selbst nicht, ihre Eltern nicht und wir als Publikum schon gar nicht. Dass dieser angebliche Traum also ein von den Eltern erst aufgebautes, dann übergestülptes und von Geld geformtes Konstrukt ist, ist offensichtlich. Denn niemand mit einem Funken von Anstand, Moral und Fantasiebegabung würde es doch als Traum bezeichnen, Werbung für McDonald's zu machen. Überhaupt ist Werbung in dieser Form doch kein erstrebenswerter Lebensinhalt, sondern der manipulative Rattenschwanz des Kapitalismus, der weg kann.

Die Eltern können froh sein, dass das zuständige Jugendamt diesen Film offenbar nicht zu Gesicht bekommen hat.

Was mich bei aller Faszination jedoch etwas gestört hat, ist das Voiceover. Mal sprechen die Eltern, mal die Tochter, mal ein Superfan von ihr. Nur ist der Text dabei offensichtlich nicht frei gesprochen, sondern vorformuliert. Offen bleibt, wer diesen Text wirklich geschrieben hat. Denn diese Sätze geben dem Filmmaterial im Direct-Cinema-Stil nicht nur einen Rahmen, sondern auch eine bestimmte Richtung vor. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, wer uns hier wirklich etwas erzählen will. Damit untergräbt sich der Film letztlich nur selbst.

🇨🇭, R: Susanne Regina Meures, Trailer, Letterboxd, Wikipedia, Foto: Rise and Shine Cinema

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A review of Girl Gang (2022)
Es ist nicht sonderlich überraschend, was Susanne Regina Meures’ Dokumentarfilm hier zutage fördert. Aber aufgrund der Nähe zu diesen Menschen ist er dadurch trotzdem nicht weniger faszinierend. Meures gelingt es einzufangen, wie sich der algorithmisch gesteuerte Mahlstrom auswächst und das Leben einer ganzen Familie pulverisiert, wie öffentlich sichtbare Metriken und Zahlen auf den Bankkonten Menschen zunächst aushöhlen, um sich dann selbst in der leeren Hülle wie Parasiten einzunisten. Diese Parasiten können dann praktisch ungehindert ihre Wirt:innen aushungern, da die Eltern der hier begleiteten Influencerin ganz offenkundig keine Ahnung dieser digitalen Welt haben. Sie sind fast noch schutzloser als ihre Tochter