Seit einigen Woche höre ich nun eigentlich weitestgehend zufrieden Anne Wills wöchentlichen Politikpodcast. Denn der profitiert von der Ruhe, dem verfügbaren Raum, den bereichernden Gäst:innen und einem ehrlichen Erkenntnisinteresse. Man könnte sagen: Politik mit Anne Will ist die Gegenthese zu ihrer einstigen Talkshow im Ersten.
Dennoch lässt sich auch in diesem Format beobachten, welches Unvermögen deutsche Journalist:innen an den Tag legen, wenn es um die Analyse von Trump in den USA und trumpartige Moves in der deutschen Politik geht.
Im Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver Ashbrook etwa, war es mehr als deutlich: Hier wird noch in Grenzen gedacht, in denen Trump und sein Umfeld längst nicht mehr operieren. Welchen Wert hat eine Analyse, die verkennt, dass dort jemand sitzt, der im Zweifelsfall auf Gerichtsentscheidungen und Rechtsauslegungen müde lächelnd nur „I know and I don't care. What are you gonna do about it?" antwortet – und dann wirklich niemand etwas tut. Das ist derzeit im Lager der völlig hilflosen US-Demokraten sehr gut zu beobachten, aber eben auch bei eigentlich schlagkräftigen Medien wie der New York Times, die offenbar nicht anders können, als dem Staatsstreich unter Trump mit Sanewashing zu begegnen und die Dinge nicht als das zu benennen, was sie sind.
Anflüge dessen gab es auch im deutschen Politikjournalismus wahrscheinlich schon immer. Offensichtlicher ist das im Umgang mit der AfD geworden. Wer das offenbar recht aufmerksam beobachtet hat und nun für sich und den eigenen Machtanspruch benutzt: die Union aus CDU und CSU mit Friedrich Merz und seinen Lakai:innen an der Speerspitze.
Wie das dann aussieht – oder in diesem Fall: anhört –, demonstriert Alisha Mendgen, Hauptstadtkorrespondentin des Redaktionsnetzwerks Deutschland, nun bei Anne Will im Podcast, was mir hier als Beispiel dienen soll:
Anne Will: Hat die Union, hat Friedrich Merz die Wähler belogen?
Alisha Mendgen: Sie hat die Wähler getäuscht, würde ich sagen. Also Lüge ist ein sehr großes Wort. Damit tue ich mich schwer, weil man will die Demokratie auch nicht verächtlich machen. Aber sie hat schon etwas behauptet, wo sie wusste, so kann es eigentlich nicht laufen. (Zur Stelle im Podcast springen.)
Keine drei Minuten später:
Alisha Mendgen: Und wenn ich auch sage, er hat was behauptet, wo er wusste, dass das nicht stimmt, ist das ja eigentlich eine Lüge, muss man sagen. Ich möchte nur immer nicht so gerne die, die sowas ständig behaupten von den demokratischen Parteien, also AfD, dann irgendwie unterstützen.
Was bei Friedrich Merz glaube ich hinzukommt und bei der Union insgesamt: Die sind im ganzen Wahlkampf ja einer Versuchung erlegen, Dinge zu versprechen, wo sie wussten, das kommt nicht. (Zur Stelle im Podcast springen.)
Wo genau liegt jetzt das Problem, eine Lüge als eine Lüge zu bezeichnen – ob sie nun aus einer demokratischen Partei zu hören ist oder nicht? Als Journalist:in hat man nicht die Aufgabe, eine demokratische Partei vor den Angriffen einer undemokratischen, sondern die Demokratie an sich zu schützen. Auch Alisha Mendgen betont, wie wichtig es ist, demokratisches Gebahren nicht erodieren zu lassen. Dazu gehört jedoch nun mal, die Mächtigen (Demokraten) zur Rechenschaft zu ziehen.
Ich bin müde und etwas fassungslos, dass so wenig aus den Fehlern anderer Medien gelernt wird.