Gesehen: Jeder schreibt für sich allein (2023)

Formal hat mich das einfach nicht gepackt. Es scheint, als ob Dominik Graf und Felix von Boehm versuchen, sich Ken Burns zu nähern, aber nur Powerpoint unter Windows 95 schaffen. Zu unfilmisch, statisch, zu ungelenk, zu spröde ist das alles und schiebt sich deshalb leider zu oft störend vor den Inhalt.
Davon abgesehen gelingen Graf und Boehm zusammen mit Anatol Regnier auf Basis dessen Buchs eine immens aufwendige Aufdröselung der deutschen Literaturgeschichte, deren Verflechtungen mit dem Naziregime und der ewigen Frage nach der Trennung von Werk und Autor*in.
Irgendwann während des Films habe ich mir notiert: „Der Autor lässt sich vom Werk trennen, aber nicht das Werk vom Autor." Damit versuche ich auszudrücken: Es gibt vor dem Dritten Reich geschaffene, große und als solche zu bewertende Literatur, deren Schöpfer*innen überzeugte Nazis wurden. Aber nach dem Fall des dritten Reichs veröffentliche Werke, verfasst von zuvor offenbar linientreuen Autor*innen, werden diesen (Schand-)Fleck auf und zwischen ihren Zeilen niemals loswerden.
Dass in der Geschichte dann plötzlich in Schriftform ausgerechnet die spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin auftaucht und dabei erstaunlich warme Worte für den nazinahen Autoren und sozusagen ihren zeitweisen Schwiegervater Will Vesper findet, war ein irres Detail. Wikipedia: „Im Zuge dessen bezeichnete sie den für seine dem Nationalsozialismus nahen Werke und Hitler-Oden berüchtigten Will Vesper unter anderem als ‚liebenswertesten, unterhaltendsten und geistreichsten Dichter, den Deutschland in diesem Jahrhundert besessen hat'."
Der Film steht noch bis zum 16. Februar 2026 in der Arte-Mediathek:
