Gesehen: Neustadt. Stau - Der Stand der Dinge (2000)
Die Ampel bleibt rot – das ist das letzte Bild des Films vor der Schwarzblende. In meinem Kopf hindert sie den letzten Zug daran, Halle-Neustadt zu verlassen. Wer an die Zukunft dachte, saß in einem der vorherigen Züge. Wer in der Vergangenheit schmorte, kam zu spät.
Thomas Heise wird hier mit seiner Kamera Zeuge der Ursachen und Folgen eines radikalen Braindrains innerhalb der Stadtteilgesellschaft. Natürlich hat das auch mit den wirtschaftlichen Folgen der Wende für Sachsen-Anhalt zu tun. Aber eben auch damit, dass Rechte – von Konservativen bis zu Neonazis – sich unter anderem großflächig an diesem Punkt überschneiden: die Verachtung von Bildung. Denn Bildung bedeutet Fortschritt und Fortschritt stellt den Status quo infrage und ist nie rückwärtsgerichtet.
Wer ein Buch statt die Bild liest, wird nicht als Mensch wahrgenommen, der seinen Horizont erweitern und Dinge über die Welt lernen möchte, sondern als jemand geframt, der sich über andere stellen und andere Menschen abwerten will. Doch das scheint reine Projektion, denn das eigene Handwerk, die eigene Arbeitsmoral und die seit Jahrzehnten unveränderte Weltsicht werden als Maß aller Dinge erachtet, nach der sich alle anderen richten müssen.
P.S.: Einer der Neonazis im bürgerlichen Gewand hat sich eine Kopie eines von Hitler gemalten Bildes in die Wohnung gehängt – weil er es interessant findet, dass diese „Führungspersönlichkeit" auch vorher ein Privatleben hatte. Als ob massenmordender Faschist nur ein Job wäre, den man nach 17 Uhr einfach auch mal Job sein lassen kann. Das kannst du dir nicht ausdenken.
Der Film steht noch bis zum 31. Januar 2028 kostenlos in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung: