Opernbesuch: Der fliegende Holländer (Leipzig, 2024)

Opernbesuch: Der fliegende Holländer (Leipzig, 2024)

Wunderbar modern lässt sich Michiel Dijkemas Inszenierung von Richard Wagners Der fliegende Holländer lesen. So sind die über die Ewigkeiten angesammelten Schätze des Holländers hier im Inneren eines gestrandeten Wals zu finden, aus dem sich sie Seemänner dann bedienen. Es ist, als ob der Holländer die Natur bis aufs Letzte ausgebeutet hat, nun endlich sterben und die sinnbildliche Sintflut hinter sich hereinbrechen lassen will, aber stattdessen auf ewig mit seiner eigenen Unzulänglichkeit konfrontiert in einer untoten Zwischenwelt schmoren muss.

Dann die Figur der Senta, die auf der Bühne ihre eigene und damit auch die Emanzipation der Frau verhandelt. Sie will die Liebe nach eigenen Regeln erfahren und sich von jeglicher Fremdbestimmung lossagen. Sie verliebt sich in die vage Idee des Holländers, in ein letztlich von ihr selbst konstruiertes Ideal. Und dann schlägt sie auf dem harten Boden der Realität auf, wird vom Holländer für dessen ganz eigennützigen Zwecke manipuliert und missbraucht.

Der Jäger Erik ist fast schon ein Incel, wie er im Buche steht. Er erhebt Anspruch auf Senta und ihre Liebe, weil er immer nett zu ihr war und sie auch mal zu ihm. Er interpretiert eine zufällige, unschuldige Berührung als wortlose Versicherung der gegenseitigen Liebe.

Jede dieser drei Figuren lässt sich als vortrefflich vor der Kulisse unserer Realität lesen.

Apropos Kulisse: Die hat mir bei dieser Inszenierung wirklich gut gefallen. Es war toll, wie hier durch den parallelen Einsatz von extrem kaltem und extrem warmem Licht Spannung und Stimmung im Dienste der Figuren erzeugt wurde. Sowieso passiert angenehm viel in der Vertikalen und nicht nur von links nach rechts oder andersherum. Zwei Akte lang war ich zudem fasziniert davon, wie mir durch den Einsatz höhenverstellbarer Leinwände, der teilweise absenkbaren Bühne und clever angeleuchteten Nebel komplett das Gefühl für die tatsächliche Tiefe des Bühnenraums genommen wurde. Denn das ist das denkbar beste Fundament für den dritten Akt, in dem das Schiff des Holländers mit seinen Masten plötzlich über den Bühnenrand bis übers Publikum hinaus fährt und damit in seiner visuellen und räumlichen Wucht alle Sinne vereinnahmt.

Zur Qualität des Gesangs kann ich wenig sagen, ich kenne mich da einfach nicht auf. Unterm Strich erschien mir Ólafur Sigurdarson in der Rolle des Holländers sehr farblos, irgendwie ohne eigene Stimme. Martina Welschenbach hat der Senta hingegen richtig schön viel Profil verliehen.

P.S.: Die Entscheidung, die Inszenierung durch die Projektion einzelner Passagen aus Heinrich Heines Memoiren des Herren von Schnabelewopski „anzudicken“, halte ich für einen Fehler. Denn sie gipfelt darin, dass im letzten Akt „Die Moral des Stückes ist für die Frauen, daß sie sich in acht nehmen müssen, keinen Fliegenden Holländer zu heuraten; und wir Männer ersehen aus diesem Stücke, wie wir durch die Weiber, im günstigsten Falle, zugrunde gehn.“ groß auf einer Leinwand zu lesen ist. Schreibt das meinetwegen ins Programmheft oder platziert es als Denkangebot in der Einführung. Aber auf der Bühne kommt mir das mindestens einengend und bevormundend vor. Selbst, wenn ich am Ende zum gleichen Schluss komme, schiebt sich diese wortwörtlich plakative Aussage störend vor die Kunst.

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