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Gesehen: Do Not Expect Too Much from the End of the World (2023)

Gesehen: Do Not Expect Too Much from the End of the World (2023)
(c) Mubi

Was für ein wilder Ritt, der so vollgepackt ist, dass ich gar nicht weiß, was ich hier letztlich hervorheben soll…

Der größte Elefant im Raum (und deshalb natürlich auch schon sehr oft erwähnt) ist sicherlich Jean-Luc Godards Spätwerk. Konkret an den grundpessimistischen und durchaus misanthropischen LE LIVRE D'IMAGE (2018) habe ich sehr oft denken müssen. Beide Filme eint auf Formebene ihr radikal fragmentarischer Stil und eine Wirkung, die sich in großen Teilen nicht vorrangig durch das Abgebildete entfaltet, sondern nur durch die Montage entsteht. Nur entscheidet sich Radu Jude letztlich dafür, seine Gesellschaftssektion durch das Herausarbeiten der absurd komischen Auswüchse des Spätkapitalismus vorzunehmen und dabei den Vergleich mit Godard nicht nur selbst aufzugreifen, sondern in meinen Augen auch abzuwehren.

In Emojis ausgedrückt: 🤡🔫

Von Neokolonialismus über ganz „normale“ Ausbeutung bis zur gesellschaftlichen Verrohung pflügt Jude einmal quer durch eines der ärmsten Länder der Europäischen Union. Dabei gelingt ihm ein sehr bemerkenswertes Kunststück: Viele seiner Figuren sind unheimlich ambivalent und lassen sich in kein Gut-und-böse-Schema einordnen. Da ist die Produktionsassistentin, die auf der einen Seite aufs Übelste Ausgebeutet wird, ihre Lebenszeit durch stundenlanges Herumfahren wortwörtlich verschwendet und dabei problemlos aus Goethes „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ zitieren kann und sich auf der anderen Seite mit derben Insta-Storys auf einer Ebene mit Charlie Hebdo sieht. Oder der Regisseur, der dessen kulturelles Wissen und künstlerischer Anspruch anerkennenswert sind, er seine Fähigkeiten jedoch aufgrund des großen ökonomischen Drucks in der Werbung verpulvern muss und damit letztlich auch nur ein Vasall genau des Kapitalismus ist, der Menschen wie ihn eigentlich kaputtmacht. Und obendrauf müssen alle irgendwie damit klarkommen, dass die Hälfte unserer Mitmenschen einfach mit der Realität oder zumindest grundlegenden Regeln des Anstands gebrochen haben, menschenfeindliche Parolen wiederholen und mit offen faschistische agierenden Personen kein Problem zu haben scheinen.

Menschen können eine sensible Künstler*innenseele haben und gleichzeitig einem skrupellosen Konzern dabei helfen, dessen Hände in Reinheit zu waschen und Absätze durch die Anregung stumpfen Konsums auf Kosten von Mensch und Umwelt zu maximieren.

Und dann gibt es da diese eine Sequenz, in der minutenlang einfach nur die zum Gedenken an tödlich verunfallte Autofahrer*innen aufgestellten Kreuze entlang einer Straße gezeigt werden. Dieser Abschnitt sticht besonders aus dem Chaos des Films heraus. Nach einigem hin und her überlegen, habe ich für mich eine Bedeutung herausarbeiten können: Die Aufnahmen heben sich ab, weil sie nicht der Filterlogik des Films folgen. Ist die Produktionsassistentin unterwegs, ist das Bild schwarz-weiß. Macht sie ihre Insta-Storys, transmutiert ein Filter ihr Gesicht. Bei den Dreharbeiten für einen Imagefilm ist unser Blick gleichzeitig der Blick durch die Kamera des dort werkelnden Filmteams. Nur der Blick auf die Kreuze scheint wirklich unmittelbar und unverfälscht zu sein. Ein bisschen hat sich das für mich angefühlt, als ob Jude damit etwas à la „Eine Rettung ist noch möglich – und wenn es durch den Tod ist“ sagen möchte. Und irgendwie liegt darin für mich auch ein Gefühl des Friedens.

★★★★☆

🇭🇷/🇫🇷/🇱🇺/🇷🇴, R: Radu Jude, D: Ilinca Manolache, Nina Hoss, Dorina Lazăr, Uwe Boll, Trailer, Wikipedia
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