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alle Kurzkritiken im Rahmen der 6th Annual Letterboxd Season Challenge: 2020-21

  • 🎬 LSC6: La Femme Nikita (1990) – Weitwinkliger Nihilismus

    Die Challenge in dieser Woche ist, einen bisher ungesehenen „Cinéma du Look„- Film zu schauen.


    LA FEMME NIKITA ist ein durchweg reaktionärer Film. Wer den Regeln des Staates folgt, sich der Staatsmacht bedingungslos unterordnet, wird sogar von den Toten zurückgeholt. Die Vorstellung, das System als ihm entgegenstehend – also mehr oder weniger als Soziopath – von innen heraus auszuhöhlen, ist naiv. Genauso wie die Vorstellung, dass das System und insbesondere der Staat dein Freund ist. Freundschaft gehört nicht zu seinen Aufgaben.

    Aus Druck gewachsene Konformität verleiht nur oberflächliche Macht innerhalb der systemischen Spielregeln, macht einen letztlich zu einem bloßen Werkzeug der Mächtigen.

    LA FEMME NIKITA hat kein Interesse daran, das System einzureißen. Entweder man ist ein Teil davon oder tot. Es wird kein ernsthafter Ausweg gezeichnet, was letztlich alles in verzweifeltem Zynismus und Nihilismus zergehen lässt.

    Davon abgesehen war es noch nie Luc Bessons Stärke, mehrdimensionale Frauenrollen zu schreiben. Trotzdem hat er mit LA FEMME NIKITA einen markanten Fußabdruck im europäischen Action-Kino der 90er hinterlassen – nicht zuletzt durch die interessante, wenn auch im Verlauf des Films sich zunehmend abnutzende Vorliebe für Dolly-Shots mit tiefen Weitwinkeln, auf die wahrscheinlich selbst ein Terrence Malick neidisch wäre.



  • 🎬 LSC6: In the Heat of the Night (1967) – Kühler Kopf bei brodelndem Inneren

    Die Challenge in dieser Woche ist, einen bisher ungesehenen mit Sidney Poitier zu schauen.


    Um diese Floskel gleich vorweg zu nehmen: IN THE HEAT OF THE NIGHT hat seit 1967 traurigerweise absolut nichts an Relevanz eingebüßt.

    Damals wie heute ist Gleichberechtigung kein Begriff, der sich ausschließlich sich an unterschiedlich hoch ausfallenden Wochenlöhnen messen lassen kann. Das macht Norman Jewisons Film unmissverständlich klar. Er zeigt, wie praktisch irreparabel kaputt das System ist, durch das sich von dessen Struktur Profitierende einfach ungestraft hindurch dilettieren können.

    Die Diskriminierung von Minderheiten – in diesem Fall vom Schwarzen Cop Virgil Tibbs – ist so fest mit System und Bewusstsein verschraubt, dass sie wie ein unanfechtbares Naturgesetz wirkt. Und das, während dem offenbar wirkungslose juristische Gesetze gegenüberstehen.

    Treten Fehler auf, so wird nach den Ursachen ausschließlich an den Rändern der Mehrheitsgesellschaft und nicht in deren vermeintlich unbefleckter Mitte gesucht. Die Regeln gelten somit nicht für diejenigen, die sie durchsetzen sollen.

    Gleichermaßen ist IN THE HEAT OF THE NIGHT Ausdruck einer diskriminierenden Leistungsgesellschaft, in der man als Minderheit erst dort Wert gewinnt, wo andere an die Grenzen ihrer Expertise stoßen. Und selbst das wird dann mit neiderfülltem Rassismus und unbegründetem Misstrauen bestraft.

    Wer widerspricht, verliert. Die daraus resultierenden inneren Konflikte macht Sidney Poitier auf brillante Art und Weise sichtbar. Denn der von ihm gespielte Virgil Tibbs scheint in der Hitze der Nacht einen überraschend kühlen Kopf zu bewahren. Doch unter der Oberfläche brodelt es – weil er genau weiß, dass das System gegen ihn ist, obwohl er im Recht ist.

    Letztlich versucht IN THE HEAT OF THE NIGHT zwar ein hoffnungsvolles Ende zu verkaufen. Doch der Ausblick bleibt aussichtslos. Denn Virgil Tibbs mag einen Rassisten zum Umdenken gebracht zu haben. Doch auf den Feldern Mississippis werden mehr als 100 Jahre nach Ende der Sklaverei immer noch Schwarze ausgebeutet. Das vermeintliche Naturgesetz besteht weiter, das juristische scheint keine Bewandtnis zu haben.



  • 🎬 LSC6: Humpday (2009) – Freiheit ≠ Grenzenlosigkeit

    Die Challenge in dieser Woche ist, einen bisher ungesehenen für den Independent Spirit John Cassavetes Award nominierten Film zu schauen.


    HUMPDAY ist ein Film, der die Begriffe von Freundschaft, Liebe, Beziehung und Sexualität infrage stellt. Er dekonstruiert normative Grenzen, zwischen denen wiederum die Grenzen von Intimität verlaufen. Lynn Sheltons († 05/2020) Film zeigt einerseits, wie vollkommen artifiziell, archaisch, anachronistisch sowie auf konservativen Moralvorstellungen aufbauend unsere gesellschaftliche Ausprägung dieser Begriffe ist. Andererseits macht sie auch deutlich, wo die klaren Herausforderungen einer freiheitlichen „You do you“-Gesellschaft liegen.

    Denn Freiheit ist ein offenbar besonders für Egoismus gemachtes Nest. Und dem muss zwingend mit offener Kommunikation begegnet werden. Gleichermaßen ist Freiheit nicht mit Grenzenlosigkeit oder dem Zwang dazu gleichzusetzen. Denn Grenzen sind nicht zwingend restriktiv. Stattdessen bestimmen sie ganz individuelle Wohlfühlblasen. Und diese beim Gegenüber auch wahrzunehmen, definiert wiederum den Respektsbegriff.

    So breit, wie ich diese mäandernden Ausführungen angelegt habe, funktioniert auch HUMPDAY. Die halb improvisierten Dialoge – und nicht zuletzt Mumblecore-Koryphäe Mark Duplass – verhelfen dem Film zu einer vereinnahmenden Authentizität. Doch irgendwann reicht es nicht mehr, einfach nur nach Echtheit zu streben. Denn der Film verliert zunehmend an Schwung, gibt seine anfängliche Kohärenz auf und beginnt zu zerfasern. Letztlich fehlt das höhere Ziel, auf das hinausgearbeitet wird.



  • 🎬 LSC6: The Thing (1982) – Perfekter Nährboden für menschliche Paranoia

    Die Challenge in dieser Woche ist, einen bisher ungesehenen Film aus den Letterboxd Top 250 zu schauen.


    Warum damit großartig hinterm Berg halten? THE THING ist ein Film, der sich praktisch keine Fehltritte erlaubt. Er ist von der ersten bis zur letzten Minuten spannend – und zwar, weil er sich Zeit nimmt und nicht der Versuchung nachgibt, alle 30 Sekunden eine neue Zerreißprobe liefern zu müssen. Dazu ist THE THING unfassbar unheimlich, weil er wie eine Säure wirkt, die alles langsam zerfrisst, bis nur noch der blanke Horror übrig bleibt. John Carpenter hat damit etwas abgeliefert, das trotz seiner Reduziertheit effektiv statt einfach gestrickt ist.

    Carpenters Film arbeitet mit einer klaren, unmissverständlichen Bildsprache, die zu keiner Sekunde das Gefühl vermittelt, etwas unnötig verheimlicht zu bekommen. Dazu kommt ein nahezu perfekter Score aus der Feder des legendären Ennio Morricone, der wirkmächtig unterstreicht statt zu manipulieren. Und das macht THE THING nur noch effektiver.

    THE THING ist der perfekte Nährboden für menschliche Paranoia. Er zeigt kompromisslos unsere Kapitulation angesichts komplexer Probleme und den Drang nach vermeintlich einfachen, jedoch völlig destruktiven Lösungen. Der Mensch wendet sich lieber stur gegen seine Artgenossen, anstatt sich sein Scheitern einzugestehen. THE THING zeigt, dass wir einfach nicht aus den Fehlern anderer lernen können, sondern stattdessen felsenfest davon überzeugt sind, es besser machen zu können. Und gerade deshalb steckt die größte Gefahr für die Menscheit in jedem Mitglied der Gesellschaft und dessen Umgang mit dem Fremden selbst.

    THE THING erzählt mehr über die menschliche Natur, als die simple Prämisse und der nahezu unausweichliche Handlungsverlauf zunächst vermuten lassen.



  • 🎬 The 6th Annual Letterboxd Season Challenge

    Mein Letterboxd-Profil, Stand: 12. August 2020

    Letterboxd ist mein Lieblingsort im Internet, wenn es um Filme geht. Auf dieser Seite ist eine wirklich feine Community von Cinephilen entstanden. Und rund um das Listen-Feature sprießen immer wieder interessante Challenges aus dem digitalen Erdboden. Normalerweise passt das jedoch gar nicht zu meinem Stil, Filme zum Anschauen auszuwählen. Zwang ist meiner Erfahrung nach keine gute Methode, mit der ich mich gut auf etwas einlassen kann. Außerdem halte ich mein Interesse für breit genug, um mich auch in Ecken weit abseits des Mainstreams umzusehen.

    Und doch hat die Letterboxd Season Challenge meine Aufmerksamkeit erregt. Vor zwei Jahren habe ich deshalb zum ersten Mal die jeweils achtmonatige Herausforderung angenommen, weil ich so noch tiefer in mir bisher kaum bekannte Nieschen eintauchen konnte. Denn jede Woche steht unter einem speziellen Motto, das die Filmauswahl einschränkt. Ich habe die Challenge praktisch als Reiseführer durch die Filmlandschaft genutzt. Und das hat super funktioniert.

    Mittlerweile steht die insgesamt sechste und meine dritte Letterboxd Season Challenge vor der Tür. Was ich mir in den kommenden Monaten alles anschauen werde, dokumentiere ich in diesem Post. Und ich habe mir vorgenommen, zu jedem einzelnen Film mindestens ein paar Zeilen zu schreiben – so, wie ich es auch in den vergangen Jahren gemacht habe.


    7. September bis 11. Oktober 2020

    1. The Thing (1982, D: John Carpenter)
    2. Humpday (2009, D: Lynn Shelton)
    3. In the Heat of the Night (1967, Norman Jewison)
    4. Nikita (1990, D: Luc Besson)
    5. Il Sorpasso (1962, D: Dino Risi)

    12. Oktober bis 15. November 2020

    1. Creep (2014, D: Patrick Brice)
    2. Lesbian Vampire Killers (2009, D: Phil Claydon)
    3. Near Dark (1987, D: Kathryn Bigelow)
    4. Murder by Death (1976, D: Robert Moore)
    5. Joint Security Area (2000, D: Park Chan-wook)

    16. November bis 20. Dezember 2020

    1. The Savages (2007, D: Tamara Jenkins)
    2. Sabrina (1954, D: Billy Wilder)
    3. I Killed My Mother (2009, D: Xavier Dolan)
    4. The Last Black Man in San Francisco (2019, D: Joe Talbot)
    5. Olive Kitteridge (2014, Miniserie)

    4. Januar bis 7. Februar 2021

    1. The Watermelon Woman (1996, D: Cheryl Dunye)
    2. Never-Ending Man: Hayao Miyazaki (2016, D: Kaku Arakawa)
    3. Vanilla Sky (2001, D: Cameron Crowe)
    4. A Canterbury Tale (1944, D: Emeric Pressburger & Michael Powell)
    5. Dead Man (1995, D: Jim Jarmusch)

    8. Februar bis 14. März 2021

    1. Chaplin (1992, D: Richard Attenborough)
    2. The Young and the Damned (1950, D: Luis Buñuel)
    3. Thief (1981, D: Michael Mann)
    4. The Piano (1993, D: Jane Campion)
    5. Police Story (1985, D: Jackie Chan)

    15. März bis 18. April 2021

    1. Hiroshima Mon Amour (1959, D: Alain Resnais)
    2. Shut Up and Play the Hits (2012, D: Will Lovelace & Dylan Southern)
    3. The Meetings of Anna (1978, D: Chantal Akerman)
    4. The Stepford Wives (1975, D: Bryan Forbes)
    5. Glengarry Glen Ross (1992, D: James Foley)

    19. April bis 9. Mai 2021

    1. Rosemary’s Baby (1968, D: Roman Polanski)
    2. Marina Abramović: The Artist Is Present (2012, D: Matthew Akers)
    3. Z (1969, D: Costa-Gavras)